U.v. Beckerath

21.8.1951.

Ihr Brief vom 19. cr., eingegangen gestern.

 

Sehr geehrter Herr Humbert,

 

darin sind wir einig, dass papierne Zahlungsmittel moeglichst rasch dahin zurueckstroemen sollten, wo sie hergekommen sind. Papierne Zahlungsmittel dienen im Wesentlichen der Verrechnung, auch wenn sie nicht formell Verrechnungsschecks sind. Verrechnung aber sollte moeglichst rasch und mit moeglichst wenig Zwischenstufen vor sich gehen, damit nicht anstatt der Verrechnung ein langfristiger Kredit entsteht. Dadurch erscheint der Schuldner, der laengst entschuldet sein koennte, als immer noch verschuldet, und der Glaeubiger steht da, als wenn er faule Koeppe zu Schuldnern haette.

      Es fragt sich nun: durch welche Mittel erzielt man einen moeglichst raschen Rueckstrom?

      Sie wollen ihn durch Zwang erreichen. In letzter Instanz steht also die bewaffnete Macht hinter dem Rueckstrom. Dagegen habe ich bedenken. Die bewaffnete Macht sollte nur Aufgaben erfuellen, die sie auch versteht. Von Rueckstrom aber versteht sie nichts, wird sich daher sehr wahrscheinlich entweder gar nicht einsetzen oder kein gutes Gewissen dabei haben, oder sie wird Fehler machen. Sie kennen ja aus der Wirtschaftsgeschichte die starke Tendenz in Handelskreisen, die Staatsgewalt aus Handeisstreitigkeiten moeglichst auszuschalten und entweder sachverstaendige Schiedsgerichte urteilen zu lassen oder Selbsthilfe zu ueben. Eine Jahrhunderte alte Erfahrung hat eben gezeigt, dass staatlicher Zwang in der Oekonomie meistens etwas ganz anderes bewirkt als was man bewirkt haben moechte. Um wenigstens ein Beispiel zu geben: So lange es in Berlin noch eine Boerse gab. wurden da fast alle Streitigkeiten in erster Instanz durch ein Boersen- Schiedsgericht entschieden, und das irrte sehr selten.

      Besser ist es, der Rueckstrom durch die der Wirtschaft selbst eignen Kraefte zu erzielen. Nur darf man das Wirken dieser Kraefte nicht ohne weiteres als "Spekulation* bezeichnen. Beispiel:

      In Kursachsen wurde im 18-ten Jahrhundert von einem intelligenten "Kameralisten" der "Steuer -Antizipations-Schein" erfunden. Der Kurfuerst wartete nicht, bis es den Besitzern von Silbertalern gefaellig war, sich davon zu trennen, oder bis seine Steuer-Exekutions-Kommandos die Trennung erzwungen hatten, er wandte auf den Rat jenes Kameralisten ein ganz anderes Verfahren an. Er bezahlte z.B. seine Tuchlieferanten mit Scheinen auf denen gedruckt war:  Diesen Schein nehmen kurfuerstliche Kassen ebenso an, wie sie 50 Silbertaler annehmen wuerden. Anspruch auf Bareinloesung besteht nicht.

 

Einige Leute begriffen die Sache sofort. Andere aber begriffen nichts und hielten sich fuer betrogen. Da kamen nun richtige Spekulanten und setzten eine Fluesterpropaganda ins Werk: Richtig, ihr Kaufleute, der Kurfuerst hat euch auch betrogen! Der 50-Taler-schein ist hoechstens 20 Taler wert, und so viel zahle ich dafuer. Andere erklaerten wiederum: Sachsen - - seid doch nicht daemlich! Schon in naechster Zeit muessen doch die Untertanen Steuern zahlen. Dann geschieht unweigerlich folgendes: Der Spekulant bietet den Steuerzahlern den von ihm fuer 20 Taler gekauften Schein fuer 49 Taler an. verdient also 29 Taler. Der Kaeufer aber hat immer noch einen Vorteil. Er gibt einen Schein, den er fuer 49 Taler gekauft hat, am naechsten Tage mit 50 Taler in Zahlung, hat also an dem einen Tag 1/49 gewonnen. Also: Wer Steuer-Antizipations-Scheine besitzt, der mache selbst das Geschaeft, verschleudere den Schein nicht fuer 20 Taler, sondern warte die Nachfrage der Steuerzahler ab und verkaufe dann den Schein fuer 49 Taler. Es dauerte viele Jahre bis das Volk das einsah, und bis die Besitzer von Steuer-Antizipations-Scheinen sie nicht mehr verschleuderten.

 

Nebenbei: Einer der sehr Wenigen, die einsahen, dass der Kurfuerst seine Untertanen keineswegs betrogen hatte, das war Voltaire. Er begriff, dass die Scheine mal auf pari steigen mussten. wenn naemlich die Steuern faellig wurden. Er lieh sich also bei einem Juden eine sehr hohe Summe zu sehr hohen Zinsen und kaufte den Schafskoepfen, die sich durch die Fluesterpropaganda hatten beeinflussen lassen, die Scheine billig ab. Jeder hielt ihn fuer dumm. Wie kann man nur fuer solche Papiere, die doch gar keine "Deckung"  haben, so viel Geld ausgeben!!  Es kam dann, wie Voltaire es vorausgesehen hatte. Der Jude bemerkte, dass Voltaire einen Reisengewinn erzielt hatte, den er. der Jude. auch haette erzielen koennen. wenn er klueger und volkswirtschaftlich gebildeter gewesen waere. Der Jude verklagte also Voltaire und wollte einen Anteil an dem Gewinn haben!!! Die Richter verstanden die Natur der Transaktion gar nicht und waren geneigt, dem Juden recht zu geben!!! Protokollfuehrer war uebrigens Lessing, der die Sache auch nicht begriff, aber ein kleines Gedicht dazu gemacht hat.

Spekulanten waren aber im Grunde diejenigen "Praktiker", die glaubten, ein Geschaeft gemacht zu haben, als sie einen "wertlosen" 50-Talerschein fuer 20 Taler an den Mann brachten. Fuer Voltaire aber war die Transaktion ebenso wenig eine Spekulation wie es fuer einen Landwirt eine ist, der im Fruehjahr saet und im Herbst das Zehnfache der Aussaat erntet.

Worauf ich hinaus will. das ist folgendes: Papierscheine koennen sehr wohl ein Disagio bekommen, so dass z.B. - - wie 1919 - - drei Zwanzig-Markscheine fuer ein Zwanzig-Mark-Stueck gekauft werden koennen. Ist nun bei der Emission keine Unehrlichkeit vorgekommen, dann muessen die Scheine wieder auf pari steigen, wenn naemlich die Steuertermine gekommen sind. Hat die Regierung aber mehr Scheine drucken lassen, als sie an faelligen Steuern ausstehen hat, dann war sie unehrlich, und das Disagio kann nicht verschwinden. Bei Ehrlichkeit der Regierung ist es keine Spekulation die Scheine zu kaufen; es ist ein voellig sicheres Geschaeft. bei Unehrlichkeit der Regierung aber ist es geradezu eine Spekulation, die Scheine nicht moeglichst rasch gegen Ware einzutauschen, so weit man sie nicht bei den Finanzaemtern loswird.

      Wer ein Papiergeldsystem vorschlaegt, der muss in Gedankengaengen, wie den hier angedeuteten, sehr zu Hause sein, sonst kollidiert er mit den Wirtschaftsgesetzen.

      Warum wollen Sie nun - - um auf den Hammel zurueckzukommen - - den Rueckstrom des neu zu schaffenden Notgeldes nicht dem Disagio des Notgeldes ueberlassen, das es gelegentlich bekommt?

      Das Disagio ist ein so wirksames Mittel, den Rueckstrom zu erzwingen, dass die alten Finanziers ("Kameralisten“) es oefters gleich einkalkulierten. Beispiel:

      I.J. 1815 - - nach der Schlacht bei Belle-Alliance - - da war Preussen pleite. Silber zirkulierte nur wenig, und jeder hielt es fest. Da wurde auf den Rat Niebuhr's (des grossen Historikers, der aber auch eine Zeitlang Notenbank-Direktor war) folgendes gemacht:

      Es wurde verordnet, dass der vierte Teil der Steuern in "Tresorscheinen" (so nannte man's damals) gezahlt werden musste. Wer anstatt des Papiers Silber brachte, der zahlte fuer jeden fehlenden Papiertaler einen "Strafgroschen". Was geschah nun, wenn an irgendeinem Ort in Preussen ein Disagio bemerkt wurde? Da geschah folgendes: An jedem groesseren Ort da hatten die "grossen" Steuerzahler, Fabrikanten, ihre Agenten - - meistens Bankiers. Die hatten den Auftrag, die Disagioscheine sofort zu kaufen und zu Steuerzahlungen zu verwenden, sei es des Auftraggebers oder seiner Geschaeftsfreunde. Dadurch verschwand dann der Schein aus dem Verkehr mitsamt seinem Disagio, aber, die Tatsache, dass der Kurs fuer die Tresorscheine frei war, und dass sie gelegentlich ein Disagio bekommen konnten, diese Tatsache trug sehr dazu bei, dass die Scheine gleich nach der Emission in rascher Bewegung auf den Fiskus waren, anders ausgedrueckt: in raschem Rueckstrom begriffen waren.

      Auch bei der SPA wird es das gelegentliche Disagio sein, das den Rueckstrom da bewirkt, wo die andern, aus der Notenbanktechnik bekannten Mittel ihn nicht rasch genug bewirken. Nur darf man einen Disagio-Schein nicht gleich als "Spekulationsware" ansehen.

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      Sie fragen: Warum Cassel, der ja wirklich kein Dummkopf war, und z.B. die Kaufkraft-Paritaeten in der jetzt ueblichen Form zum ersten Male angewandt und sie wohl auch erfunden hat, warum Cassel von der eigentlichen Geldtheorie so gar nichts versteht. Die Antwort ist leicht gegeben:

      Cassel und alle andern sind der Meinung, dass die Regierung ein unbedingtes Monopol auf typisierte Zahlungsmittel haben muesse. Warum? Damit die Regierung auch von Zeit zu Zeit inflationieren kann. Das kann die Regierung naemlich, wenn sie erstens das Monopol fuer typisierte Zahlungsmittel hat, und zweitens diese Zahlungsmittel Zwangskurs haben. Ohne Notenmonopol und ohne Zwangskurs aber kann keine Regierung inflationieren, beim schlechtesten Willen nicht! Die Inflationsmoeglichkeit halten aber alle Modernen fuer notwendig, weil die moderne (Irr=) Lehre ist: Die Inflation schafft immer noch Mittel heran, wenn alle andern Auswege (Steuern, Anleihen) nicht mehr funktionieren. Die Rettung des Staates kann davon abhaengen - - sagen die Modernen. Deswegen: so fahren sie fort: reden wir gar nicht mehr von Zahlungsmitteln, die nicht Regierungsgeld sind.

      Die Absicht der Modernen ist also nicht geradezu schlecht, ist aber in jedem Punkte irrig und - - nebenbei - - durch die Wirtschaftsgeschichte widerlegt. Die Auswirkung aber ist, dass inzwischen die aeltere, schon sehr gut ausgebaut gewesene Theorie einfach vergessen ist. Wenn ein Professor immer nur von Zwangskurs-Monopol-Geld spricht, und nie Gelegenheit hat, auch mal von anderem Geld zu reden - - einfach, weil die aendern auch nicht davon reden - - so vergisst er zuletzt das, wovon nie gesprochen wird.

Zurzeit ist der einzige Professor, der noch die alte Theorie kennt und sie uebrigens auch vertritt, der Professor Dr. Rittershausen in Mannheim. (Gutenbergstrasse 19.) Der steht turmhoch ueber allen andern. Ich weiss, dass er schon die groessten Unannehmlichkeiten gehabt hat, weil er das Geldmonopol der Regierung bestreitet.

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Umschulung und Umschulungskredite. Sie sprechen von Umschulungskrediten in der Art, wie sie bisher gegeben worden sind. Ich spreche aber von etwas ganz anderem. Sie haben zwar Recht, aber ihre Ausfuehrungen widerlegen nicht die meinigen.

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Sie sagen: "Schaeffer sagt ja selber, dass unfehlbar eine Inflation eintreten muss etc."

Inflationen treten nie ein, sie werden gemacht.

Eine Teuerung, die kann "eintreten", aber Inflation ist nicht dasselbe wie Teuerung, wenn auch die Professoren das seit etwa 30 Jahren behaupten. (Vorher waere jeder Student im Examen durchgefallen, der "Teuerung" und "Inflation" verwechselt haben wuerde.)

Inflation entsteht, wenn die Regierung mehr Zwangskursgeld ausgibt, als der Verkehr ohne den Zwangskurs zu pari aufnehmen wuerde oder doch ohne allgemeine Preiserhoehung aufnehmen wuerde. Also: Um zu inflationieren muss zunaechst mal zusaetzliches Zwangskursgeld gedruckt werden. Dazu gehoert ein Druckauftrag. Mit diesem Auftrag aber beginnt die Inflation. Der Auftrag aber "entsteht" nicht, er wird gegeben.

Wir werden nie zur Klarheit koennen, wenn wir nicht zur alten Terminologie zurueckkehren. Zurzeit fehlt dem Volk ein Wort, um den monetaeren Zustand durch Ueberemission von Zwangskursgeld zu bezeichnen. Da aber beim Volke der Gedanke am Wort haengt, so kann sich das Volk heute eine Ueberemission kaum noch vorstellen, haelt jedenfalls die Hoehe des Notenumlaufs fuer ganz gleichgueltig.

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      Ihre Bedenken bezueglich der 8 787 Millionen Zwangskursgeld der Bank Deutscher Laender sind natuerlich berechtigt. Es gibt aber nur ein Heilmittel gegen die inflatorischen Auswirkungen dieser Ueberemission: Beseitigung des Zwangskurses und des Notenmonopols, sei es durch ein neues Gesetz, sei es durch eine monetaere Revolution, naemlich durch Nicht-Anerkennung von beiden, wie es zur Inflationszeit geschah. Diese monetaere Revolution Deutschlands ist fuer die Deutschen wenigstens ebenso ehrenvoll wie die Franzoesische Revolution es fuer die Franzosen gewesen ist, um so mehr, da sie ohne Guillotine geschah und was dazu gehoert. Aber, die Deutschen haben noch selten ihre eigne Geschichte recht begriffen.

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      Sie schaetzen die notwendige Menge typisierter Zahlungsmittel in Deutschland auf DM 30.- bis DM 40.- per caput. Vielleicht haben Sie recht. Aber es koennte auch sein, dass Sie hier nicht recht haben. Die Westmark ist z. Zt. etwa 40 alte Goldpfennige wert. Die Menge des umlaufenden Geldes in Deutschland aber war seit sehr vielen Jahrzehnten immer nahe an 100 alte Goldmark per caput oder ganz frueher etwa 80 Goldmark. Sie schaetzen nun 40 Papiermark = 16 alte Goldmark als ausreichend. Sie verstehen, dass ich da Bedenken habe.

Aber: Beseitigen wir das Notenmonopol und den Zwangskurs, und der Verkehr schafft sich so viel Zahlungsmittel wie er braucht und genau da, wo er sie braucht. Wir werden dann sehen, wie viel das per caput ausmacht. Vorschriften auf Grund von theoretischen Erwaegungen sind hier nicht das Rechte.

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      Sie fragen mit Recht: "Kann man denn wirklich nicht die Dummheit und die Frechheit unserer Wirtschafter brechen??" Antwort:

Ja - -  durch eine monetaere Revolution nach dem Muster der Jahre 1922 und 1923 - - Gutscheine, wie sie damals die Firma Meinl in der Leipziger Strasse ausgab. Annahme der Goldmark als Wertmass, trotzdem es verboten war, und trotzdem kein Gold als Deckung zur Verfuegung stand. Aber, ein Goldmarkt war vorhanden, und ein Umsatz von nur wenigen Kilo Gold taeglich leistete zum grossen Erstaunen aller Beteiligten mehr als frueher der groesste Goldschatz.

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      "Ueberhang" des Geldes. Hier gibt es nur ein Heilmittel: Beseitigung des Zwangskurses. Ohne Zwangskurs kann man beim schlechtesten Willen keinen Ueberhang schaffen. Wer's nicht glaubt, der moege durch Gruende demonstrieren, wie nan's doch kann.

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      Sie sagen: "Dummheit der Menschen und ihre Habsucht machen Sie blind." Ich glaube an die Aufklaerung als die bei weitem staerkste, soziale Macht. Kant, dessen Anhaenger ich bin, hat darueber Besseres gesagt, als ich sagen koennte. Seine Abhandlung aus dem Jahre 1784 lege ich hier bei. Heute wuerde Kant nicht nur die Theologen nennen, sondern auch die Volkswirtschaftsprofessoren.

 

Mit bestem Gruss

 

gez. U.v.Beckerath.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 1939-1941.